Die Abgabe an die Leviten, die den Wachdienst rund um die Stiftshütte versahen, lässt sich mit dem unstrittigen Anteil von einem 50stel (= 2 %) aus der einen Hälfte der Midianiter-Beute errechnen. Wenn man die in den Zahlenangaben für die Beute enthaltenen ÄLäPh als 50er-Einheiten wertet, betrug diese Abgabe 337,5 Stück Kleinvieh, 36 Rindern, 30,5 Eseln und 16 Jungfrauen (siehe Anlage 20, Tab. 25). Die Bruchteile wurden sicher auf ganze Tiere aufgerundet. Die doppelt so hohe Abgabe für Jahwe, die für die am Heiligtum Diensttuenden Leviten und Priester bestimmt war, ist mit ihren absoluten Zahlen von 675 Stück Kleinvieh, 72 Rinder, 61 Esel und 32 Jungfrauen explizit im Bibeltext angegeben (4Mose 31,37-40).
Um zu prüfen, ob diese Verteilregeln zu einer fairen Aufteilung führen, müsste der Pro-Kopf-Anteil bei beiden Gruppen der Leviten errechnet werden. Dafür wird neben der bekannten Anzahl von 11.000 männlichen Leviten von einem Monat und älter (siehe 8.3.2) auch deren Altersstruktur benötigt. Weil diese nicht bekannt ist, kann es bei den nachfolgenden Berechnungen nur um eine ungefähre Größenordnung gehen. Da bei den Leviten nicht alle beim ersten Zensus über 20-Jährigen in der Wüste umgekommen waren (siehe 8.1.5), kann näherungsweise die Altersstruktur der zwölf Stämme beim Exodus zugrunde gelegt werden, die sich aus dem in Kapitel 5 vorgeschlagenen Szenario zur Bevölkerungsentwicklung in Ägypten ergibt (siehe Anlage 14, Tab. 16 + 17). Die Altersgruppe der 25- bis 50-Jährigen hatte laut Tab. 16 einen Anteil von (8,93 + 7,59 + 6,46 + 5,48 + 4,65 =) 33,11 % an allen Männlichen und damit eine Kopfzahl von (11.000 x 33.11 % =) 3.642. Für die über 50-Jährigen können aus Tab. 17 drei zu größeren Altersgruppen zusammengefasste Werte abgelesen werden und zu dem Anteil der 20- bis 25-Jährigen von 10,49 % aus Tab. 16 addiert werden. So ergeben sich ein Anteil von (10,49 + 7,22 + 6,79 + 4,24 =) 28,74 % sowie daraus eine Anzahl von (11.000 x 28,74 % =) 3.161 Männern.
Die sich aus diesen Mann-Zahlen ergebenden Pro-Kopf-Anteile sind in Anlage 20, Tab 25c + d dargestellt. Diese Ergebnisse werde ich nachfolgend am Beispiel der Anteile beim Kleinvieh (= Schafe und Ziegen) bewerten. Pro Kopf erhielten die am Heiligtum diensttuenden 25- bis 50-jährigen Leviten 0,185 Stück Kleinvieh und die 20- bis 25- und über 50-Jährigen 0,107 Stück.Die Diensttuenden erhielten somit das 1,7-fache der übrigen Leviten. Der Unterschied zwischen der aktiven und der passiveren Gruppe war hier größer als bei den Wehrfähigen der zwölf Stämme, wo die am Kriegszug Beteiligten das (1,35 ÷ 1,204 =) 1,12-fache der im Lager Gebliebenen erhielten. Dieser größere Unterschied war aber insofern vertretbar, weil – anders als bei den zwölf Stämmen – die Verteilung bei den Leviten nach Altersgruppen erfolgte. Bei der Gruppe der diensttuenden 25- bis 50-Jährigen Leviten waren die Familien i.d.R. größer als bei den übrigen Leviten. Die meisten Kinder der über 50-Jährigen waren schon über 20 Jahre alt und erhielten damit ihren eigenen Anteil, die 20- bis 25-Jährigen hatten – bei einem frühesten Heiratsalter von 20 Jahren – noch keine oder nur sehr kleine Kinder. Der Anteil eines diensttuenden Leviten von 0,185 Schafen entsprach etwa einem Sechstel (= 0,167), so dass sich sechs Diensttuende mit ihren Familien ein Schaf teilen mussten. Bei den übrigen Leviten mit kleineren Familien mussten sich zehn Leviten ein Schaf teilen. Damit kann der höhere Anteil bei den Diensttuenden als fair und damit plausibel angesehen werden.
Aufgrund der niedrigen Bruchteile können die beiden Abgaben kaum die Vergrößerung der Viehherden der Leviten zum Ziel gehabt haben. Sie reichten aber aus, um ein Heilsopfer (je nach Übersetzung auch Friedens- oder Dankopfer genannt) darzubringen, bei dem das Fleisch von dem Opfernden und seinen Angehörigen gegessen werden durfte. Legt man für das Kleinvieh einen durchschnittlichen Fleischertrag von 25 kg zugrunde (siehe 8.4.2.2 mit Fußnote 1), beträgt der durchschnittliche Anteil eines diensttuenden Leviten (25 kg x 0,185 =) 4,6 kg, derjenige der übrigen Leviten (25 x 0,107 =) 2,7 kg. Da für ein Festmahl durchschnittlich 200 g Fleisch pro Person ausreichten, konnten daneben noch Fleischvorräte angelegt werden für die Zeit nach dem unmittelbar bevorstehenden Aufbruch zur Eroberung des Landes Kanaan. Das Fleisch konnte in dem heißen und trockenen Klima in der Nähe des Toten Meeres getrocknet oder mit Salz konserviert werden.
Gravierender sind die Abstände zwischen den Beuteanteilen der Wehrfähigen der zwölf Stämme und denjenigen der Leviten. So erhielt ein am Kriegszug beteiligter Wehrfähiger das (1,35 ÷ 0,185 =) 7,3-fache des Anteils eines diensttuenden Leviten und ein im Lager gebliebener Wehrfähiger gar das (1,204 ÷ 0,107 =) 11,25-fache eines nur Wachdienst leistenden Leviten. Diese von Jahwe festgelegten deutlich niedrigeren Anteile der Leviten sind insofern verständlich, weil Jahwe angeordnet hatte, dass die zwölf Stämme nach der Landnahme durch die Leistung eines Zehnten ihrer Ernteerträge für die Versorgung der Leviten aufkommen mussten. Bei einem auf einer ungewissen Altersstruktur beruhenden Steigerungssatz des 11,25-fachen könnte man auf den Gedanken kommen, dass hier in Wirklichkeit ein Verhältnis von 9 zu 1 vorlag und der Anteil der übrigen Leviten an der Beute der übrigen Wehrfähigen dem Zehnten entsprach, der den Leviten aus den Ernteerträgen der zwölf Stämme zustand. Dies trifft aber nicht zu. Insgesamt erhielten alle Leviten inklusive der wenigen Priester 4 % aus der einen Hälfte und 2 % aus der anderen Hälfte, somit im Durchschnitt 3 % der gesamten Beute. Hier liegt also offensichtlich keine Abgabe vor, die dem den Leviten zustehenden „Zehnten“ aus den Feldfrüchten entspricht.1
Abschließend kann festgehalten werden, dass die neubewerteten Beutezahlen des Midianiterfeldzuges auch bei den Leviten plausible und widerspruchsfreie Deutungen bei den Regeln zu ihrer Verteilung ermöglichen. Das bestätigt auch meinen Vorschlag, die „Abgabe für Jahwe“ als Anteil der am Heiligtum diensttuenden 25- bis 50-jährigen Leviten (inkl. der wenigen Priester) zu deuten und die ausdrücklich als „Abgabe für die Leviten, die den Wachdienst versehen“ bezeichnete zweite Abgabe den 20- bis 25- und über 50-jährigen Leviten zuzuordnen. Abschließend soll nun als weitere Plausibilisierung der Neubewertung der Beutezahlen aus der dabei ermittelten Anzahl von 1.600 gefangengenommenen midianitischen Jungfrauen eine ungefähre Bevölkerungsgröße der Midianiter abgeschätzt werden.
1 Für den Zehnten galten folgende Regelungen:
- Der Zehnte war nur vom Ertrag des Landes, z.B. Getreide, Weinreben und Ölbäume, abzugeben (5Mose 14,22). Daneben war von den Tieren die Erstgeburt Jahwe zu weihen (siehe 6.2.2).
- Auch wenn die Leviten kein eigenes Stammesgebiet und kein Land zum Anbau von Feldfrüchten erhielten, wurden ihnen doch Städte mit dem diese umgebenden Weideland innerhalb der Stammesgebiete der übrigen Stämme zugeteilt. Die Leviten hatten ihr eigenes Vieh (4 Mose 35,2-3).
- Die Abgabe des Zehnten wurde erst für die Zeit nach der Landnahme angeordnet (4Mose 18,20-21). Während der Wüstenwanderung und der Zeit, als Israel östlich des Jordans lagerte, wurde das Volk durch das Manna versorgt. Es gab zu dieser Zeit weder einen Ernteertrag bei den zwölf Stämmen, der hätte verzehntet werden können, noch einen Mangel bei den Leviten, der hätte ausgeglichen werden müssen.