Während traditionell alle אֶלֶף (ÄLäPh) in den Zensusberichten als Tausender verstanden wurden, nahm Flinders Petrie das Gegenextrem an und wertete alle ÄLäPh bei den Zahlenangaben der zwölf Stämme als (Zelt-)Gruppe. So kam er beim ersten Zensus aus der Summe der Hunderter und Zehner auf nur 5.550 Wehrfähige. Für die Summenangabe von 603 ÄLäPh 550 Mann (4Mose 1,46; 4Mose 2,32) musste er annehmen, dass hier die Summe der 598 Zeltgruppen und die sich aus der Summe der Hunderter ergebenden 5 ÄLäPh mit der Bedeutung „Tausend“ bei einer späteren Revision zu 603 ÄLäPh zusammengefasst wurden. Gleichartige Revisionsfehler ergeben sich in seinem Modell bei den in der Beschreibung der Lagerordnung angegebenen Zwischensummen für jeweils drei Stämme (4Mose 2,9+16+24+31). Mendenhall1 modifizierte das Modell von Flinders Petrie, der die 5.550 Wehrfähigen als Gesamtbevölkerung interpretiert hatte, 1958 insofern, dass er aus den Wehrfähigen eine Gesamtbevölkerung von rund 20.000 Personen hochrechnete. Die sehr niedrigen Zahlen dieser beiden Modelle widersprechen sowohl der berichteten großen Vermehrung in Ägypten als auch den Eroberungs- und Landverteilungsberichten.

Schon 1955 hatte deshalb Clark2 einen Vorschlag veröffentlich, in dem er einen kleinen Teil der ÄLäPh auch bei den Zahlenangaben der einzelnen Stämme als Tausender wertete und die übrigen als Offiziere von militärischen Einheiten. Damit wollte er die stark unterschiedlichen Durchschnittsgrößen der Heereseinheiten bei den einzelnen Stämmen ausgleichen. Er nahm damit nicht nur bei den Summen mehrerer Stämme sondern auch bei den Detailzahlen je Stamm einen systematischen Revisionsfehler an, durch den vorher getrennt stehende ÄLäPh-Angaben für Offiziere und Tausender zusammengezogen wurden. So kam er auf eine Gesamtbevölkerung der zwölf Stämme von 140.000 Personen. Nachfolgend eine kurze Übersicht über die Erklärungsmodelle der großen Zahlen, die für ÄLäPh noch eine andere Bedeutung als „Tausend“ annehmen:

 

 

Flinders

Petrie

Clark

Menden-

hall

Wen-

ham

Humph-

reys

Zerbst

Ziegert

Veröffentlichungsjahr

1906

1955

1958

1967

1998

2005

2009

Gesamtbevölkerung

5.550

140.000

20.000

72.000

20.000

36-42.000

120.000

 

Wenham3  folgt im Prinzip dem Ansatz von Clark und übersetzte die nicht als Tausender zu wertenden ÄLäPh als Offiziere. Er ging allerdings davon aus, dass die in den Zahlen vorkommenden Hunderter-Zahlen „Hundertschaften“ meinten, die nicht ihre volle Soll-Stärke hatten, sondern durchschnittlich nur aus etwa 75 Mann bestanden. Dadurch und durch eine geringere Anzahl von ÄLäPh, die als Tausender gewertet wurden, kam er auf eine nur etwa halb so große Anzahl von Wehrfähigen wie Clark.in seinem Modell. Humphreys4 unterstützte dagegen den Vorschlag Mendenhalls, indem er ihn durch einen Quervergleich mit der Zahl der Erstgeborenen plausibilisierte. Dafür nahm er allerdings willkürlich an, dass bei den im Text angegebenen 22 ÄLäPh 273 Erstgeborenen (konventionell 22.273) ab einem Monat nur 1 ÄLäPh als Tausend zählte und wies rechnerisch nach, dass 1.273 Erstgeborene ab einem Monat zu 5.550 Wehrfähigen ab 20 Jahren (bei den Detailangaben der Wehrfähigen je Stamm wertete er alle ÄLäPh als Einheiten) passten, wenn man acht bis neun Söhne pro Mutter annahm. Damit hätte in der Zeit vor dem Exodus jede israelitische Mutter bei Annahme einer etwa gleich großen Anzahl von Töchtern durchschnittlich 16 bis 18 Kinder geboren haben müssen. Ich zeige dagegen in Kapitel ‎5 auf, dass bei einem durchschnittlichen Gebäralter von 29 Jahren weniger als 5 Kinder pro Frau ausreichten, um in einem Zeitraum von 215 Jahren auf eine Gesamtbevölkerung von etwa 100.000 Personen zu kommen.

Das Modell von Ziegert5 nimmt die Grundidee, dass der Begriff ÄLäPh früher die weitere Bedeutung „(militärische) Einheit“ hatte, auf. Anders als alle anderen Ausleger nimmt er aber zusätzlich an, dass das Zahlwort für „Hundert“ (מֵאָה MeAH) ebenfalls die Bedeutung „(militärische) Einheit“ hatte. Diese Einheit müsste in seinem Modell ein Zehntel der Größe der ÄLäPh-Einheit gehabt haben, um den systematischen Revisionsfehler bei den ÄLäPh-Angaben in den Zensusberichten, der bei allen anderen genannten Modellen zumindest bei der Summe aller Wehrfähigen und der Summe von jeweils drei Stämmen bei den vier Lagern auftrat, zu vermeiden – was das durchaus ehrenwerte Ziel dieses Vorschlags war. Die von Ziegert angegebene Größenordnung von 30.000 Wehrfähigen, die er überschlägig auf eine Gesamtbevölkerung von 120.000 Personen hochrechnet, ergibt sich aus seiner Schätzung der durchschnittlichen Anzahl von 50 Mann pro ÄLäPh-Einheit. Daraus folgt für die mit dem Zahlwort für „100“ benannte Einheit eine Größe von durchschnittlich nur fünf Mann. Aus seiner Begründung für die Annahme, dass auch מֵאָה (MeAH) die zweite Bedeutung „militärische Einheit“ hatte, ergibt sich zudem, dass das Zahlwort für „fünfzig“ חֲמִשִּׁים (ChaMiSchIM), das im Zusammenhang mit Heeresangaben in gleicher Weise wie מֵאָה (MeAH) gebraucht wird, im AT ebenfalls die von der Zahl 50 unabhängige abstrakte Zusatzbedeutung „militärische Einheit“ gehabt haben müsste. Für diese Einheit hätte sich die halbe Größe der mit מֵאָה (MeAH) bezeichneten Einheit ergeben, im Zensusbericht somit durchschnittlich nur 2,5 Mann. Ich begründe dagegen mit dem biblischen Kontext, dass schon ÄLäPh im Sinne von „militärische Einheit“ für unterschiedlich große militärische Einheiten verwendet wurde (siehe z.B. Abschnitte ‎3.1.1ff und ‎4.1.3.1). ÄLäPh wurde somit für die größten Einheiten wie auch für Untereinheiten verwendet, so dass weitere Zahlwörter mit der Bedeutung „militärische Einheit“ für Untereinheiten obsolet sind.

Zerbst untersuchte die vor ihm in die wissenschaftliche Diskussion eingebrachten Deutungsmodelle ausführlich und entwickelte aus den Modellen von MendenhallClark und Wenham ein Kompromissmodell, das deren verschiedene Schwächen eliminieren soll.6 Auch bei seinem Vorschlag bleiben zwar noch viele Fragen offen, seine Grundannahmen zur Deutung des Begriffs ÄLäPh haben aber meines Erachtens das Potenzial, das Problem der überhöhten Zahlen nicht nur in den beiden Zensusberichten (4Mose 1 + 4Mose 26) sondern im gesamten Alten Testament zu lösen. Sein Modell werde ich daher nachfolgend etwas ausführlicher darstellen.

  • 1 Vgl. G.E. Mendenhall: The Census of Numbers 1 and 26. In: Journal of Biblical Literature (JBL) 77 (1958), S. 52-66.

    2 Vgl. R.E.D. Clark: The Large Numbers of the Old Testament. Journal of the Transactions of the Victoria Institute (JTVI) 87 (1955), S. 82-92.

    3 Vgl. J.W. Wenham: Large Numbers in the Old Testament. Tyndale Bulletin (TynBul) 18 (1967), S. 19-53.

    4 Vgl. Colin J. Humphreys: The Number of People in the Exodus from Egypt: Decoding Mathematically the Very Large Numbers in Numbers I and XXVI. In: Vetus Testamentum, Vol. 48, Fasc. 2 (Apr., 1998), S. 196-213

    5 Vgl. Carsten Ziegert: Die großen Zahlen in Num 1 und 26: Forschungsüberblick und neuer Lösungsvorschlag. In: Biblica 90 (2009), S.237-256,

    6 Vgl. Zerbst: Größe Israels, S. 101-145, hier: S. 103