In 4Mose 3,44-48 fordert Gott Mose auf, ihm die Leviten anstatt der ihm gehörenden Erstgeborenen zu weihen. Die Zahl der Erstgeborenen ist – anders als fast alle anderen Angaben zur Volksgröße – nicht gerundet. Dies liegt wohl daran, dass es hier um Personen ging, auf die Gott Anspruch erhoben hatte, die ihm zu heiligen – das heißt zu weihen oder auszusondern – waren (siehe 7.1.3.2 Ziffer II). Deshalb musste genau gerechnet werden.
Gemäß Abschnitt 6.3.3 sind bei der heute vorliegenden Angabe von 22 ÄLäPh 273 Erstgeborenen in 4Mose 3,43 die ÄLäPh in zwölf mit der Bedeutung „Gruppe“ (eine je Stamm) und nur zehn mit der Bedeutung „Tausend“ aufzuteilen: „12 ÄLäPh (= Gruppen) mit 10 ÄLäPh 273 (= 10.273) Erstgeborenen“. Wie in Abschnitt 7.3.3.3 ausführlicher dargestellt, ist hier unsicher, wie die Pluralbildung für die Konsonanten אלף (ALP) mit der Bedeutung „Gruppe“ ursprünglich ausgesehen hat, da alle Vorkommen mit dieser Bedeutung bei der Schlussrevision des AT-Kanons an die Numerus-Formen des Zahlwortes „Tausend“ angepasst wurden. Vermutlich erfolgte die Pluralbildung analog zu ALuPh ab zwei Gruppen aufwärts einheitlich mit der Pluralform אֲלָפִים (ALaPhIM). Die gleiche Pluralform wird bei der Bedeutung „Tausend“ für 3.000 bis 10.000 verwendet (siehe 7.3.2.1). Daraus ergibt sich folgende Rekonstruktion der ursprünglichen Angabe: „12 אֲלָפִים (ALaPhIM = Gruppen) mit 10 אֲלָפִים (ALaPhIM = Tausender) 273 Erstgeborene“. Bei der Textrevision wurden die „12 Gruppen“ als nicht den aktuellen Standards entsprechende Pluralform von „Tausend“ (=12.000) interpretiert und zu den 10.273 Erstgeborenen hinzuaddiert.
Im hier vorgeschlagenen Deutungsmodell wird für die Leviten in 4Mose 3,39 folgende ursprüngliche Fassung rekonstruiert: „12 אלפים (Aussprache: ALuPhIM = Anführer) und 10 אלפים (Aussprache: ALaPhIM = Tausend) Gemusterte“ (siehe 7.3.6). Bei den sich daraus ergebenden 10.000 Leviten sind 300 mit Gebrechen, die nicht für die Auslösung eines Erstgeborenen geeignet waren, schon abgezogen (siehe 7.1.1). In beiden Fällen betreffen die Angaben Männliche ab einem Monat oder älter. Als Differenz ergeben sich (10.273 – 10.000 =) 273 Erstgeborene. Für die fehlenden 273 Leviten sollte Mose eine Ersatzzahlung von fünf Schekel pro Kopf nehmen und an Aaron und seine Söhne geben. Dies ergab eine Summe von 1.365 Schekel Silber, die die Erstgeborenen aufzubringen hatten (4Mose 3,50).
Aus dem Text von 4Mose 3,46-51 entsteht der Eindruck, dass diese Differenz abstrakt anhand von Namenslisten ausgerechnet und dann lediglich das Silber für die Differenz an Aaron übergeben wurde. Aus 4Mose 3,45a: „Nimm die Leviten anstelle aller Erstgeborenen unter den Söhnen Israel“, könnte man aber auch schließen, dass es eine Übergabehandlung gab, bei der jeder dargebrachte Erstgeborene ganz konkret durch einen Leviten ausgelöst wurde. Gelegenheit für einen solchen Auslösevollzug gab es bei den in 4Mose 7,10-88 beschriebenen Einweihungsopfern für den Brandopferaltar. Dabei brachten die zwölf Stammesfürsten, die später (zur chronologischen Reihenfolge siehe Fußnote 1 in Abschnitt 7.3.4.4) auch bei der Zählung der Wehrfähigen mitwirkten (4Mose 7,2; 4Mose 1,16), jeder drei wertvolle Opfergefäße gefüllt mit Feinmehl und Räucherwerk sowie 21 Tiere als Brand-, Sünd- und Friedensopfer dar. Für jeden Stammesfürsten war ein ganzer Tag für die Darbringung der Gaben vorgesehen (4Mose 7,10-11). Die dargebrachten Gaben werden je Stammesfürst in zwölf gleichlautenden Abschnitten beschrieben (4Mose 7,12-83), ehe am Ende die gesamten Gaben aller zwölf Stämme in Summen zusammengefasst werden (4Mose 84-88). Bei dieser Gelegenheit könnten auch die Erstgeborenen des jeweiligen Stammes, die kein Gebrechen hatten, vor die Stiftshütte gebracht und durch eine gleiche Zahl von Leviten ausgelöst worden sein. Die Auslösungshandlung für die Erstgeborenen hätte nur wenig Zeit beansprucht, da die Kopfzahl vorher bekannt war und eine entsprechende Anzahl von Leviten schon bereitgestellt werden konnte. Eben weil die Erstgeborenen ausgelöst wurden, wären sie bei den dargebrachten Gaben nicht aufgezählt worden.
Für die konkrete Auslösung im Zusammenhang mit diesen Opfern spricht, dass der Bericht über die Weihe und Diensteinsetzung der Leviten unmittelbar auf die Beschreibung der zwölftägigen Opferdarbringungen folgt (4Mose 8,20-22). In diesem Zusammenhang macht Jahwe in 4Mose 8,18 folgende Aussage:
18 Und ich habe die Leviten genommen als Ersatz für alle8 Erstgeborenen unter den Söhnen Israel;
8 w. anstelle aller
Diese Aussage wäre dann als de facto-Auslösung zu verstehen, während die gleichlautende Aussage vor den Opferdarbringungen in 4Mose 3,12 als de jure-Auslösung im Sinne von „Ich habe … beansprucht“ zu verstehen wäre, der in 4Mose 3,45 die Aufforderung zur konkreten Umsetzung: „Nimm die Leviten anstelle der Erstgeborenen“ folgt.
Aber unabhängig davon, ob es eine konkrete Auslösung der Erstgeborenen durch die Leviten zuzüglich einer Silberzahlung für die Differenz oder nur eine abstrakte Differenzrechnung gab, kann abschließend festgehalten werden, dass die Differenzrechnung in meinem Modell zu einem Ergebnis führt, das mit der Angabe in 4Mose 3,46 identisch ist. Auch diese Gleichung geht also ohne zusätzlichen Eingriff in den Bibeltext allein durch die Rekonstruktion der ursprünglich getrennten Angaben von Gruppen bzw. Sippenoberhäuptern und Tausendern restlos auf. Somit ist die in diesem Kapitel vorgeschlagene Neubewertung der Zahlen zu den Leviten stimmig.