In Abschnitt 5.5.2.5 habe ich aufgezeigt, dass Jakob eine größere Zahl von Sklaven nach Ägypten mitgebracht hatte. Diese stammten von den von Abraham und später von Jakob aus Aram mitgebrachten und von den von Abraham in Ägypten erworbenen Sklaven sowie den von Jakob versklavten kanaanitischen Einwohnern der Stadt Sichem ab. Die Nachkommen dieser Sklaven mussten zusammen mit ihren Herren, den Israeliten, in Ägypten Fronarbeit leisten und sie bildeten das Mischvolk, das mit den Israeliten aus Ägypten auszog (2Mose 12,37-38). Die Größe dieses Mischvolks beim Auszug habe ich auf etwa 4.000 Personen geschätzt (siehe 5.5.2.6). Die nach meiner Schätzung darin enthaltenen rund 1.500 Männer von 20 bis 75 Jahren, die ursprünglich in den Arbeitsgruppen à 50 Mann enthalten waren, wurden beim ersten Zensus ausgemustert, da dort nur Israeliten in die Namensregister eingetragen wurden, die ihre Abstammung auf einen der zwölf Stammväter der zwölf Stämme zurückführen konnten. Sie gehörten daher auch nach dem Auszug aus Ägypten zur niedrigeren Klasse der Knechte oder Sklaven und durften weder im Heer als vollwertige Soldaten dienen noch in einer Versammlung der Gemeinde der Söhne Israels erscheinen. Damit werden sie weder von 4Mose 14,2+29 noch von 5Mose 2,16-18 erfasst:
4Mose 14,2 Und alle Söhne Israel murrten gegen Mose und gegen Aaron, und die ganze Gemeinde sagte zu ihnen: Wären wir doch im Land Ägypten gestorben, oder wären wir doch in dieser Wüste gestorben!
4Mose 14,29 In der Wüste sollen eure Leichen fallen, all eure Gemusterten ab 20 Jahren, die ihr gemurrt habt.
5Mose 2,16-18 Als alle kriegstüchtigen Männer aus der Mitte des Volkes vollständig weggestorben waren, sprach der Herr, du wirst heute die Grenze Moabs überschreiten.
Die Sklaven wurden also – wie die Leviten – von dem Urteil, dass alle über 20-jährigen Männer in der Wüste sterben mussten, nicht erfasst. Anders als bei den Leviten – wo mehrheitlich eine positivere Einstellung Jahwe gegenüber vorlag als bei den zwölf Stämmen (siehe 8.1.5) – lag bei den Sklaven jedoch eine negativere Haltung als bei den Israeliten vor. Dies ergibt sich aus 4Mose 11,4:
4 Und das hergelaufene ⟨Volk⟩, das in ihrer Mitte war, gierte voller Begierde, und auch die Söhne Israel weinten wieder und sagten: Wer wird uns Fleisch zu essen geben?
Das hier mit „hergelaufenes (Volk)“ übersetzte hebräische Wort lautet אֲסַפְסוּף (ASaPhSuPh). Es kommt nur an dieser Stelle vor und wird von dem Verb אסף (°SP) hergeleitet. Dieses Verb hat die Hauptbedeutung „sammeln“ aber im Qal laut Gesenius auch die Nebenbedeutung: „3. (jm.) aufnehmen (als Schützling)“.1 Gesenius übersetzt אֲסַפְסוּף (ASaPhSuPh) entsprechend der Hauptbedeutung „sammeln“ des zugrundeliegenden Verbs mit „zusammengelaufenes Volk“.2 Zieht man aber die dritte Bedeutung „(als Schützling) aufnehmen“ heran, so kann man unter diesem Begriff die Sklaven der Israeliten sehen, die zwar mit den Israeliten nicht gleichberechtigt waren, aber unter ihrem Schutz standen. Wie heute in Deutschland nach allgemeiner Rechtsauffassung ein Arbeitsvertrag nicht nur die Dienstpflicht des Arbeitnehmers und die Vergütungspflicht des Arbeitgebers, sondern auch eine Fürsorgepflicht (Arbeitsschutz, u. ä.) des Arbeitgebers beinhaltet, so stand auch damals ein Sklave unter dem Schutz seines Herrn. Ich nehme deshalb an, dass אֲסַפְסוּף (ASaPhSuPh) eine andere Bezeichnung für das aus den Sklaven der Israeliten bestehende Mischvolk war (2Mose 12,38; siehe 5.5.2.6).
Von ihnen wird gesagt, dass ihre Gier nach Fleisch zu einem Murren gegen das von Jahwe bereitgestellte Manna führte, wovon sich die Söhne Israel dann anstecken ließen. Laut 4Mose 11,33-34 führte ihr Murren gegen das Manna nach der Befriedigung ihres Fleischverlangens schon kurz nach dem Aufbruch vom Sinai zu einem schweren Gericht:
33 Das Fleisch war noch zwischen ihren Zähnen, es war noch nicht zerkaut, da entbrannte der Zorn des HERRN gegen das Volk, und der HERR schlug das Volk mit einer sehr großen Plage15.
15 w. schlug das Volk einen sehr großen Schlag
34 Und man gab diesem Ort den Namen Kibrot-Hattaawa16, weil man dort das Volk begrub, das gierig gewesen war.
16 d. h. Gräber der Gier, o. des Begehrens (V. 4)
Da die Gier des Mischvolks (d.h. der Sklaven der Israeliten) die Ursache für das Gericht an den Gräbern der Gier war und ausdrücklich ausgesagt ist, dass man diejenigen begrub, die gierig gewesen waren, kann davon ausgegangen werden, dass die Sklaven weit überproportional von diesem Gericht betroffen waren. In Abschnitt 8.1.3 habe ich geschätzt, dass 1.000 erwachsene Männer des Mischvolks (von etwa 1.500 beim Exodus ausgezogenen) neben 5.500 männlichen Israeliten bei diesem Gericht starben. Wenn man annimmt, dass ähnlich viele Frauen umkamen, wären zwei Drittel der Erwachsenen dieses Mischvolks schon zu diesem Zeitpunkt umgekommen. Von den verbleibenden jeweils 500 erwachsenen Männern und Frauen könnte etwa die Hälfte aus natürlichen Ursachen bzw. durch das Schlangengericht umgekommen sein. Aus den gleichen Gründen kann man annehmen, dass etwa ein Zehntel der beim Exodus etwa 1.000 unter 20-Jährigen verstorben ist. So überlebten etwa 1.400 der ursprünglich 4.000 Sklaven die Wüstenwanderung. Da Eheschließungen bei den auf viele Sippen verteilten Sklaven wahrscheinlich nur begrenzt möglich waren, dürften während der Wüstenwanderung maximal 1.000 Kinder und Enkel geboren worden sein. Insgesamt gehe ich am Ende der Wüstenwanderung von nur noch etwa 2.400 Sklaven aus.