Über Jakobs Sohn Ruben werden in 1Mose 35,23 und 1Mose 46,8b folgende Aussagen gemacht:

…   בְּנֵ֣י לֵאָ֔ה בְּכ֥וֹר יַעֲקֹ֖ב רְאוּבֵ֑ן 23

23 BöNeJ LeAH BöKhOR JaÃQoBh Rö°UBheN

23 (Die) Söhne Leas: Ruben, der Erstgeborene Jakobs, …

   בְּכֹ֥ר יַעֲקֹ֖ב רְאוּבֵֽן׃ … 8

8 … BöKhoR JaÃQoBh Rö°UBheN

8 … (der) Erstgeborene Jakobs: Ruben.

Das mit „Erstgeborener“ übersetzte hebräische Wort wird im erstgenannten Vers in der langen Schreibweise בְּכוֹר (BöKhOR) und im zweiten in der kurzen בְּכֹר (BöKhoR) geschrieben, beides als „Böchor“ ausgesprochen. Der Unterschied liegt in dem für den Vokal „o“ in der langen Schreibweise verwendeten Konsonanten ו (WaW).1 Im 1. Mose-Buch kommt die lange Schreibweise sechs Mal, die kurze neun Mal vor.2 Ein Bedeutungsunterschied zwischen den beiden Schreibweisen besteht nicht.

Welche Bedeutung hat der Begriff „Erstgeborener“? Bei einem in Einehe und ehelicher Treue lebenden Paar war das erste gemeinsame männliche Kind der Erstgeborene. Auch wenn vorher ein oder mehrere Mädchen geboren wurden, galt der erste Sohn als Erstgeborener. Erbberechtigt waren grundsätzlich nur Söhne.3 Der älteste Sohn erhielt einen größeren Anteil am Erbe (5Mose 21,17, siehe ‎5.5.2.2 und ‎5.5.2.5).

Wenn ein Mann mehrere Frauen hatte, so wurde der Sohn, der als erster von einer der Frauen geboren wurde, zum Erstgeborenen mit besonderen Erbansprüchen. Diese Regelung konnte der Vater auch nicht ändern, wenn der Sohn nicht von seiner Lieblingsfrau war (5Mose 21,15-17).

Die Anwendung dieser Regelung zeigt sich schon bei Jakob, der von vier Frauen Söhne hatte. Als sein Erstgeborener wird ausdrücklich nur Ruben bezeichnet. In 1Mose 49,3 spricht Jakob bei der Segnung seiner Söhne Ruben auch selbst so an. Jakob konnte zwar Josef, den Sohn seiner Lieblingsfrau Rahel, nach Kräften verwöhnen. Seinen von Lea geborenen Sohn Ruben konnte er jedoch nicht von seinem Erstgeburtsrecht ausschließen. Dieses Erstgeburtsrecht mit besonderen Erbansprüchen stand auch Esau zu, wurde von ihm aber für ein Linsengericht an seinen Bruder Jakob verkauft (1Mose 25,31-34).

Die für die Erbregelung geltende Definition des Begriffs „Erstgeborener“ richtete sich also nach dem Mann. Nachfolgend wird untersucht, ob diese für die Erbregelung geltende Definition auch für die Gott zu weihenden Erstgeborenen galt.

  • 1 Die unterschiedliche Schreibweise für den Vokal „o“ entstand, weil es in der hebräischen Schrift ursprünglich keine Vokale gab. Schon früh wurden jedoch in bestimmten Fällen Vokale durch sogenannte „Matres Lectionis“ oder Vokalbuchstaben angedeutet. Der Konsonant ו (WaW) wurde dabei neben seiner konsonantischen Bedeutung „W“ auch für „O“ und „U“ verwendet. Diese Schreibweise hat den Fachbegriff „scriptio plena“. Daneben gibt es häufig für das gleiche Wort eine kurze Schreibweise ohne Vokalbuchstaben, die „scriptio defectiva“. Mit Einführung der Punktierung durch die Masoreten wurde für die mündlich überlieferte Aussprache „o“ bei fehlendem ו (WaW) ein Punkt über den vorausgehenden Konsonanten, ein sogenanntes „Cholem“, gesetzt (siehe בְּכֹר). Bei vorhandenem ו (WaW) wurde dieses mit dem Cholem-Punkt zum וֹ (Cholem magnum; siehe בְּכוֹר) verbunden (Vgl. JENNI: Lehrbuch der hebräischen Sprache des AT, S. 21f u. 32f).

    2 Kurze Schreibweise: 1Mose 10,15; 1Mose 22,21; 1Mose 25,13; 1Mose 27,19+32; 1Mose 43,33; 1Mose 46,8; 1Mose 48,18; 1Mose 49,3. Lange Schreibweise: 1Mose 35,23; 1Mose 36,15; 1Mose 38,6+7; 1Mose 41,51; 1Mose 48,14. In beiden Fällen kommen auch angehängte Prä- und Suffixe vor. Die Verwendung der beiden Schreibweisen erscheint völlig willkürlich (teilweise beide in einer Erzählung, z.B. 1Mose 48,14+18).

    3 Töchter waren nur erbberechtigt, wenn ihr Vater keinen Sohn hatte (4Mose 27,8). In diesem Fall mussten sie ein Mitglied ihres Stammes heiraten, damit das Erbteil nicht an einen anderen Stamm fiel (4Mose 36,6-7).