Der Frage nach der historischen Wahrheit der alttestamentlichen Geschichtsberichte ist der Ägyptologe David Rohl in seinem Buch „Pharaonen und Propheten - Das Alte Testament auf dem Prüfstand“1 nachgegangen. Als Ausgangslage stellte er fest, „daß die kritischen Bibelwissenschaftler und ihre Kollegen, die im Nahen Osten arbeitenden Archäologen, die Erzählungen des Alten Testaments kaum als echte ‚Geschichtsschreibung‘, sondern eher als ‚Überlieferungen‘ auffassen.“2 Diesen Wissenschaftlern stellt er gläubige Christen, Juden und Moslems gegenüber, die aufgrund ihres absoluten Glaubens keine Zweifel an der historischen Genauigkeit ihrer heiligen Schriften haben und macht dann folgende Aussage:

Wer jedoch wie ich keinen speziellen religiösen Glauben als Rückhalt hat und vorrangig an der historischen Wahrheit interessiert ist, braucht unbedingt archäologische Zeugnisse dafür, daß die Vorgänge von denen die Bibel berichtet, tatsächlich stattgefunden haben und daß Personen wie Josef, Moses, Saul, David und Salomo wirklich vor drei- oder viertausend Jahren auf dieser Erde gewandelt sind. Das Fehlen solcher Beweise ist der eigentliche Grund für den Skeptizismus, der heute auf einigen Gebieten der Bibelwissenschaft vorherrscht.3

Wie diesem Zitat zu entnehmen ist, ging er unvoreingenommen an die Frage der Glaubwürdigkeit der biblischen Berichte heran. Er war bei Forschungen über die ägyptische Dritte Zwischenzeit, die zwischen dem Neuen Reich und der Spätzeit liegt und traditionell auf 1069 bis 664 v. Chr. datiert wird, auf Unstimmigkeiten gestoßen – wie auch schon verschiedene andere Forscher vor ihm. Er kam zu dem Schluss, dass der Zeitrahmen für die Dritte Zwischenzeit weit überdehnt ist und in Wahrheit um mehrere hundert Jahre kürzer ist, als traditionell angenommen wird.4 Es ist hier nicht der Raum, um die Ursachen, die zu dieser Fehleinschätzung geführt haben, und die dadurch entstehenden Unstimmigkeiten detailliert darzustellen. Dafür sei auf die ersten fünf Kapitel des gut verständlichen Buches von David Rohl verwiesen. Er erklärt dies unter anderem dadurch, dass archäologische Funde darauf hinweisen, dass in dieser Epoche die 21. und 22. Königsdynastie, die traditionell als nacheinander regierend angesehen wurden, tatsächlich für mindestens 140 Jahre parallel in verschiedenen Landesteilen regiert haben müssen.5 Eine solch einschneidende Änderung der ägyptischen Chronologie hat auch gravierende Auswirkungen auf die Geschichtsschreibung in der gesamten Levante und im östlichen Mittelmeerraum bis hin zu Assyrien, da hier viele Querverbindungen zur ägyptischen Geschichte bestehen. Querverbindungen gibt es auch zu der im Alten Testament dargestellten Geschichte des israelitischen Volkes.

Rohl weist in seiner Einleitung zunächst auf die von allen Historikern anerkannte Binsenwahrheit hin, „daß das Fleisch der Geschichtsschreibung auf einem soliden chronologischen Skelett ruhen muß.“6 Dementsprechend stellt er dann zuerst die derzeit mehrheitlich anerkannte ägyptische Chronologie sowie die sich aus dem AT ergebende bis auf Abraham zurückreichende lückenlose Chronologie der israelitischen Geschichte dar, ehe er aufzeigt, dass bei der von ihm vorgeschlagenen Verschiebung der ägyptischen Chronologie die Geschichte Josefs und der Zug Jakobs nach Ägypten gegen Ende der Regierungszeit der 12. Dynastie im Mittleren Reich anzusiedeln sind. Der größte Teil des Aufenthalts der Israeliten in Ägypten und der Exodus entfallen dann auf die Zeit der 13. Dynastie in der Zweiten Zwischenzeit. In dieser Zeit lassen sich – anders als im Neuen Reich, wo der Exodus bisher überwiegend angesiedelt wurde – tatsächlich Spuren der Israeliten in der Geschichte Ägyptens finden. Rohl verweist z.B. auf überlieferte Aussagen des ägyptischen Priesters Manetho aus dem 3. Jh. v.Chr. zum Untergang Ägyptens am Ende der 13. Dynastie.7 Er legt außerdem ausführlich dar, wie sich bei einer solchen Verschiebung die Berichte über Josef und seine Maßnahmen gegen die drohende Hungersnot sowie der durch die Zehn Plagen ausgelöste Niedergang Ägyptens in die gesamte Geschichte Ägyptens nahtlos einfügen.8 Etwas detaillierter werde ich auf dieses Thema in den Abschnitten ‎‎10.1ff eingehen. Auch für eine mögliche Synchronisierung der alttestamentlichen Berichte zur Landnahme mit dem archäologischen Befund in den der Mittleren Bronzezeit zugeordneten Schichten in Kanaan – die in geradezu erstaunlicher Weise mit dem biblischen Landnahme-Bericht übereinstimmen – führt Rohl einige Belege an. In Folge der Korrektur der ägyptischen Chronologie verschiebt sich auch dort der für das Ende der Mittleren Bronzezeit angenommene Zeithorizont entsprechend.9 

Eine solche Korrektur der ägyptischen Chronologie und des Zeithorizonts für die Mittlere Bronzezeit ist auch das zentrale Thema des Films „Pattern of Evidence Exodus“, in dem verschiedene renommierte Wissenschaftler – sowohl Befürworter als auch Gegner einer solchen Korrektur – interviewt werden und das Thema sehr gut verständlich dargestellt wird.10 Hier werden weitere archäologische Funde und schriftliche Überlieferungen vorgestellt, die für eine solche Korrektur sprechen. In Abschnitt 4.4.2 verweise ich auf weitere ausführlich dargestellte Forschungsergebnisse weiterer Archäologen, die ebenfalls zeigen, dass die alttestamentlichen Berichte über die Eroberung Kanaans durch die Israeliten gut zu den archäologischen Gegebenheiten im Gebiet des damaligen Kanaan passen, wenn man die Chronologie Ägyptens und damit die Zeitskala für die Mittlere Bronzezeit in der Levante entsprechend korrigiert‎.

Abschließend möchte ich noch zwei Aussagen von Rohl zitieren, die auf Basis seiner ausführlichen Untersuchungen der historischen Artefakte seine Einschätzung des Alten Testaments als ernstzunehmende historische Quelle zusammenfassen:

Meiner Meinung nach ist es sicherlich möglich und vertretbar, eine Geschichte der Israeliten zu schreiben, die auf einer Auswertung der archäologischen Funde und der erzählenden Texte basiert. Ich bin bereit, die Erzählungen des Alten Testaments als eine ebenso wertvolle Quelle für die alte Geschichte zu akzeptieren wie jedes andere antike Zeugnis.11

Das Anliegen dieses Buches ist es, ganz eindeutig zu beweisen, dass die Erzählungen des Alten Testaments durchaus zu dem kulturellen Hintergrund passen, den die Archäologie Ägyptens und der Levante offengelegt hat – sobald man nur die richtige Chronologie verwendet.12  

Neben den von Rohl angeführten archäologischen Argumenten für die Historizität der AT-Berichte in den Mose-Büchern und in Josua gibt es auch sprachwissenschaftliche Forschungsergebnisse, die in diese Richtung weisen. Das ist Thema im nächsten Abschnitt.

  • 1 David Rohl: Pharaonen und Propheten. Das Alte Testament auf dem Prüfstand. München: Drömer Knauer 1996, Titel der Originalausgabe: A Test of Time.

    2 Ebd., S. 26

    3 Ebd., S. 26

    4 Vgl. ebd., S. 29

    5 Vgl. ebd., S. 167-170

    6 Ebd., S. 26

    7 Vgl. ebd., S. 330-335

    8 Zur Geschichte von Mose als Prinz von Ägypten (etwa 80 Jahre vor dem Exodus): Vgl. Rohl: Pharaonen und Propheten, Kapitel 12, S. 297-324; zum Auszug aus Ägypten: vgl. ebd., Kapitel 13, S. 325-350; zur Geschichte Josefs: vgl. ebd., Kapitel 15, S. 383-426

    9 Vgl. ebd., S. 351-382

    10 Vgl. den Film: Pattern of Evidence Exodus. Auf der Suche nach den Spuren des Exodus. Thinking man films, 2014, deutsche Fassung: Düsseldorf: inner cube 2018.

    11 Rohl: Pharaonen und Propheten, S. 60

    12 Ebd., S. 61