Zunächst suche ich nach Hinweisen auf das Alter, in dem die Frauen damals üblicherweise verheiratet wurden. Ein Anhaltspunkt dafür könnte die Altersgrenze für die Wehrfähigkeit der Männer von 20 Jahren sein. In 3Mose 27,1-7 wird die Auslösungssumme bei einem Gelübde für Männer und Frauen je nach Altersgruppe aufgeführt. Dabei liegt der Auslösungsbetrag für Männliche von fünf bis 20 Jahren bei 20 Schekel und steigt ab 20 Jahren auf 50 Schekel an, bei Frauen steigt er bei Erreichen der Altersgrenze von 20 Jahren prozentual noch stärker von vorher zehn auf 30 Schekel an. Dies könnte daran liegen, dass die Frauen ab 20 Jahren heiratsfähig waren. Wie die nachfolgenden Beispiele zeigen, könnte diese Altersgrenze auf einer Tradition beruhen, die in die Zeit vor Abrahams Zug nach Kanaan zurückreicht und die von seiner Verwandtschaft und seinen Nachkommen weiter gepflegt wurde.
Vor Erreichen des Heiratsalters hatten die Mädchen ihrem Vater als Mägde zu dienen. So hütete z.B. Jakobs spätere Frau Rahel die Schafe ihres Vaters Laban als verantwortliche Hirtin, als Jakob sie kennenlernte und sich in sie verliebte (1Mose 29,9-10). Er war damals schon ein gestandener Mann von 77 Jahren (siehe Anlage 7c, Seite 1, Jahr -53) und wird sich kaum in ein unter 13-jähriges Mädchen verliebt haben. Da er – nachdem er die ältere Lea und Rahel verglichen hatte (1Mose 29,17) – selbst sieben Jahre Dienst für Rahel vorschlug (1Mose 29,18), gehe ich davon aus, dass sie erst nach dieser Zeit heiratsfähig war. Dies deutet auf ein Mindest-Heiratsalter von etwa 20 Jahren hin. Durch die Täuschung Labans wurde Jakob nach den sieben Jahren aber zunächst mit der älteren Lea verheiratet. Diese war damit wahrscheinlich sogar älter als 20 Jahre. Auch die von Abrahams Sohn Midian (1Mose 25,1-2) abstammende Midianiterin Zippora, die spätere Frau Moses, und ihre sechs Schwestern hüteten die Schafe ihres Vaters (2Mose 2,16+21). Es ist davon auszugehen, dass Zippora die Älteste war, da diese üblicherweise zuerst verheiratet wurde (1Mose 29,26). Wenn sie sechs jüngere Schwestern hatte, die schon beim Schafe Hüten dabei waren, war sie vermutlich ebenfalls schon 20 Jahre alt oder älter.
Auch wenn eine Heirat mit 20 Jahren möglich war, muss diese nicht immer zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgt sein. Da es sich damals überwiegend um von den Eltern arrangierte Ehen handelte, spielten sicher manchmal auch wirtschaftliche Interessen mit. So kann es durchaus sein, dass vom Vater zunächst eine weitere Wartezeit gefordert wurde, bis der Ehekandidat einen bestimmten Brautpreis leisten und damit zeigen konnte, dass er den Lebensunterhalt für eine Familie sicherstellen bzw. der Frau ihren gewohnten Lebensstandard bieten konnte. Schon die wertvollen Geschenke, die Abrahams Knecht Elieser zur Familie Rebekkas brachte (1Mose 24,53) und die Dienstzeit Jakobs bei Laban für seine Frauen (1Mose 29,18+27) zeigen, dass die Leistung eines Brautpreises damals üblich war. Entsprechend wurde schon in einer der ersten Aufzählungen von Geboten in 2Mose 22,15-16 festgelegt, dass bei Verführung einer Jungfrau eine Strafzahlung in Höhe des üblichen Brautpreises zu zahlen war. Dass bei einer Eheschließung ein Brautpreis zu zahlen war, wird bei diesem Gebot als selbstverständlich vorausgesetzt. Diese Frage könnte besonders bei nachgeborenen Söhnen relevant gewesen sein, da der erstgeborene Sohn wahrscheinlich vorrangig mit einem Brautpreis ausgestattet wurde. Oder es musste abgewartet werden, bis durch die Verheiratung einer Schwester durch den von deren Bräutigam geleisteten Brautpreis wieder ausreichend Vermögen vorhanden war. Die Zahlung eines Brautpreises konnte nicht dadurch umgangen werden, dass eine Jungfrau ohne Einverständnis der Eltern verführt wurde. Allerdings konnte dadurch die Altersgrenze von 20 Jahren unterlaufen werden oder die Zahlung – dann in Form einer Strafzahlung – auf die Zeit nach der Eheschließung verschoben werden. Letzteres konnte jedoch – wie das Beispiel der nachträglichen Dienstzeit für Rahel durch Jakob zeigt – auch zwischen den beiden Familien vorher vereinbart werden, womit eine deutlich spätere Heirat als mit 20 Jahren vermieden werden konnte.
Aufgrund der o.g. Indizien gehe ich davon aus, dass das Mindestalter der Frauen bei der Heirat damals 20 Jahre betrug. Abweichungen nach unten dürften als Verstoß gegen die Sitten nur in seltenen Ausnahmefällen vorgekommen sein und waren außerdem wegen des Beginns der Fruchtbarkeit bei etwa 15 Jahren auf höchstens fünf Jahre begrenzt. Abweichungen nach oben dürften häufiger gewesen sein und konnten wegen der Fruchtbarkeit der Frauen bis etwa 49 Jahren auch größer sein. Bei der großen Mehrzahl der Frauen dürfte die Eheschließung, die ja schon lange vorher vereinbart werden konnte, aber auf das Alter 20 oder wenige Jahre später terminiert worden sein. Aufgrund der wenigen Angaben in den Berichten über diese Zeit können die Abweichungen vom Mindestheiratsalter allerdings nicht seriös quantifiziert werden. So bleibt nur die Möglichkeit einer groben Schätzung des durchschnittlichen Heiratsalters der Frauen, das ich bei etwa 22 Jahren ansetze.