Wie im vorausgehenden Abschnitt festgestellt, gingen die Mann-Zahlen zwischen Exodus und dem ersten Zensus von 29.000 um 5.450 Mann auf 23.550 Mann zurück. Eine der Ursachen dafür wird im Bibeltext ausdrücklich genannt: das Strafgericht wegen des goldenen Kalbs, bei dem vom Volk 3 ÄLäPh Mann umgekommen sind (2Mose 32,27-29, ausführliche Erläuterung siehe ‎7.1.3.3). Wegen der großen Differenz zwischen den Mann-Zahlen bei Exodus und erstem Zensus kann davon ausgegangen werden, dass hier 3.000 Mann gemeint sind. Es verbleibt also noch eine ungeklärte Differenz von 2.450 Mann.

Eine denkbare Todesursache für eine größere Anzahl Männer wäre die Auseinandersetzung mit den Amalekitern in Refidim. Laut 5Mose 25,17-19 hatten diese schon auf dem Weg dorthin die beim Marsch wegen Erschöpfung zurückgebliebenen Schwachen überfallen und umgebracht. In Refidim stellten sich die Amalekiter den Israeliten zum Kampf (2 Mose 17,8). Über die Entscheidungsschlacht am Folgetag wird in 2Mose 17,9-13 berichtet. Josua stellte dafür im Auftrag Moses ein Heer auf, um am nächsten Morgen gegen sie zu kämpfen, während Mose auf einem Hügel zu Jahwe betete (Vers 9). Die Waffen und Rüstungen stammten vermutlich überwiegend von den ans Ufer gespülten Leichen der im Schilfmeer umgekommenen Ägypter (2Mose 14,30). Die Schlacht wogte hin und her. Immer wenn Mose seine Hände erhob, hatte Israel die Oberhand, ließ er sie ermüdet sinken, bekam Amalek die Oberhand (Vers 11). Die beiden folgenden Verse in 2Mose 17,12-13 möchte ich zitieren:

12 Da jedoch Moses Hände schwer wurden, nahmen sie einen Stein und legten den unter ihn, und er setzte sich darauf. Dann stützten Aaron und Hur seine Hände, der eine auf dieser, der andere auf jener ⟨Seite⟩. So blieben seine Hände fest, bis die Sonne unterging. 13 Und Josua besiegte Amalek und sein ⟨Kriegs⟩volk mit der Schärfe des Schwertes.

Erst als die Hände Moses so schwer waren, dass er sie gar nicht mehr erheben konnte, kamen seine Begleiter auf die Idee, ihn so zu stützen, dass seine Arme nicht mehr herabsinken konnten. Da nun die Israeliten dauerhaft die Oberhand hatten, dürfte der Sieg bald errungen gewesen sein. Die Unterstützungsmaßnahmen von Moses Begleitern erfolgten allerdings m.E. nicht erst gegen Abend. Kein untrainierter Mensch kann seine Arme mit einem Stab als zusätzliches Gewicht einen dreiviertel Tag lang hochhalten – auch nicht, wenn er zwischendurch immer wieder Ruhepausen einlegt. Deshalb dürfte die Unterstützung schon vor Erreichen des Höchststandes der Sonne erforderlich gewesen sein. In Vers 12 meint die Aussage עַד־בֹּ֥א הַשֶּׁמֶשׁ (ÃD-Bo° HaSchaMäSch) deshalb m.E. nicht „bis die Sonne untergeht“, sondern „bis die Sonne einkommt“ im Sinne von „ihren Abstieg beginnt“. Damit könnte entweder 12.00 Uhr oder – was ich für wahrscheinlicher halte – die Mitte des Nachmittags gemeint gewesen sein.1 Spätestens zu diesem Zeitpunkt waren die Amalekiter in die Flucht geschlagen und Mose konnte seine Hände sinken lassen. So hatte Josua noch Tageslicht für die Verfolgung der Feinde und das Volk, das noch immer vor der Oase ausharren musste, konnte das Schlachtfeld passieren und in die Oase einziehen, wo noch vor Einbruch der Dunkelheit das Lager aufzubauen war.

Es ist anzunehmen, dass an diesem Tag, immer wenn die Amalekiter die Oberhand bekamen, Israeliten gefallen sind. Denkbar ist auch, dass die Amalekiter über Distanzwaffen, z.B. Pfeil und Bogen, Steinschleudern oder Speere verfügten, die weitere Todesopfer gefordert hätten. Ein kleiner Teil der toten Wehrfähigen dürfte auch dem Überfall vom Vortag geschuldet sein, weil mit den erschöpften Alten, Frauen und Kindern sicher auch einige kräftige männliche Familienangehörige zurückgeblieben waren, die sich um sie kümmerten. Diese konnten jedoch den überraschenden Angriff der Amalekiter nicht abwehren und wurden ebenfalls umgebracht. Im Bibeltext wird keine Anzahl der getöteten Israeliten angegeben. Aus 2Mose 17,14-16 ist aber zu schließen, dass es eine große Zahl war. Denn Jahwe droht Amalek deshalb Krieg von Generation zu Generation (Vers 16) und schließlich die Auslöschung seines Andenkens (Vers 14) an.

An dieser Stelle habe ich bei der ersten Fassung der Veröffentlichung dieses Abschnitts mangels einer besseren Erklärung noch vertreten, dass die gesamte noch zu klärende Differenz von 2.450 Mann auf die Amalekiterschlacht zurückzuführen ist. Allerdings ist bei einer Schätzung der bei dieser Schlacht gefallenen Israeliten zu berücksichtigen, dass sie in einem Gebirgstal stattfand, also keine sehr breite Front möglich war. Bei einem ausgeglichen hin und her wogenden Kampf mit einer geschlossenen relativ schmalen Front gibt es zwar viele Verwundete, aber nicht so viele Tote, dass damit eine Differenz von 2.450 Mann erklärt werden könnte. Die meisten Todesopfer gibt es, wenn eine Partei endgültig die Oberhand gewinnt und ihre Gegner in die Flucht schlägt, bei der Verfolgung der Unterlegenen. Dies betraf aber hier die Amalekiter. Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass auch von den Verwundeten später noch einige starben, dürften inklusive der vorher bei den Überfällen auf die zurückgebliebenen Schwachen umgekommenen jüngeren Männer weniger als 1.000 Wehrfähige gefallen sein.

Auch weitere Ursachen für eine Erhöhung der Sterblichkeit, z.B. Todesfälle aufgrund der enormen Strapazen und Entbehrungen beim Zug durch die Wildnis oder durch Unfälle in schwierigem Gelände, dürften weniger als 50 noch kräftige wehrfähige Männer betroffen haben. Da diese Fälle außerdem kaum bezifferbar sind, fasse ich sie im weiteren Text aus Vereinfachungsgründen mit den bei der Amalekiterschlacht Gefallenen zusammen. Inklusive der Verunfallten setze ich nun 950 Gefallene – immer noch eine große Zahl – an, so dass eine Abweichung von 3.950 Mann erklärt wäre. Es bleibt dann noch eine ungeklärte Differenz von rund 1.500 Mann zwischen den in den Arbeitsgruppen in Ägypten enthaltenen Männern, die als 50er-Gruppen auszogen, und den beim 1. Zensus gemusterten Wehrfähigen.

Einen auf dem AT-Kontext basierenden Vorschlag, wie diese Differenz geklärt werden könnte, stelle ich in den Abschnitten 5.5.2 bis ‎5.5.2.6 vor. Dort komme ich zu dem Ergebnis, dass in den Arbeitsgruppen in Ägypten auch die Nachkommen der von Jakob nach Ägypten mitgebrachten Sklaven enthalten waren. Als die Israeliten zur Fronarbeit verpflichtet wurden, mussten ihre eigenen Sklaven selbstverständlich ebenfalls mitarbeiten. Diese wurden beim ersten Zensus jedoch aussortiert, da dort der Nachweis der Abstammung von den zwölf Stammvätern der zwölf Stämme erbracht werden musste, um einen Anspruch auf ein Erbteil im Land Kanaan zu erhalten. Nimmt man an, dass 1.500 Sklaven aussortiert wurden, so wären beim Exodus (29.000 – 1.500 =) 27.500 männliche Israeliten über 20 Jahren ausgezogen. Diese Anzahl nehme ich im weiteren Text als Zielwert für die Bevölkerungsentwicklung der Israeliten in Ägypten bis zum Exodus an.

  • 1 Diese Deutung korrespondiert mit der Aussage in 2Mose 12,6: „Und ihr sollt es [das Passalamm] bis zum vierzehnten Tag dieses Monats aufbewahren. Dann soll es die ganze Versammlung der Gemeinde Israel zwischen den zwei Abenden5 schlachten. (Fußnote der Elberfelder: „5 d. h. entweder zwischen Sonnenuntergang und völliger Nacht oder zwischen Niedergang (15 Uhr) und Untergang der Sonne)“. Da das Lamm vor Anbruch der Nacht (und damit des Festsabbats) noch zubereitet werden musste, kann mit dem ersten Abend nicht der Sonnenuntergang gemeint gewesen sein. Die Schlachtung des Lammes erfolgte also wohl zwischen der Mitte des Nachmittags und dem Sonnenuntergang. Die Mitte des Nachmittags lag am Tag der Amalekiter-Schlacht (ca. 24. IJar, etwa Mitte Mai) aber eher bei 16.00 Uhr, da zu dieser Zeit die Tage schon deutlich länger waren, als zur Zeit des Passafestes, das etwa bei Tag- und Nachtgleiche lag.